Griechenland: Depression oder Rezession? Was bringt die Troika – Rettung oder Knechtung?

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13. August 2013 von Jérome Duval (PACD Spanien)

Sechs Jahre Rezession, ein beängstigender Abfall des BIP von 231 Mrd. € im Jahr 2009 auf 193 Mrd. € im Jahr 2012, eine Arbeitslosenquote von 26,9% (bei den Unter-25-Jährigen sogar von 57%) im April 2013 im Vergleich zu 7,5% im Jahr 2008 und ein rasanter Anstieg der Selbstmordrate… Diese Fakten zu Griechenland wirken auf die anderen Länder Europas desaströs und alarmierend. Wie damals im Jahr 2001 in Argentinien erleiden Kinder in der Schule einen Schwächeanfall, da sie nicht ausreichend zu essen haben. Die Seropositivität nimmt zu. Gleichzeitig sind die Ausgaben im Gesundheitswesen innerhalb von zwei Jahren um 20% gefallen – von 7,1% des BIP im Jahr 2010 auf 5,8% im Jahr 2012. Die Situation des gesellschaftlichen Niedergangs nutzt die im Parlament vertretene Neonazipartei Chrysi Avgi („Goldene Morgendämmerung“), um ihre Hassparolen zu verbreiten. Die Gläubiger haben aus der Rezession eine Depression gemacht. Die Troika (EU, IWF und EZB) zeichnet ein zunehmend düsteres Bild.

Die Versuche des IWF, seinen Plan glaubwürdig zu halten

Alle Anstrengungen der Troika konzentrieren sich derzeit auf ein Ziel: die Senkung der Staatsverschuldung auf 124% des BIP im Jahr 2020. Dieses wirklichkeitsferne Ziel steigt allen zu Kopf, und zwar so stark, dass der IWF (Internationaler Währungsfonds) seine Positionen anpasst, um dieses Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Sollte das griechische Volk einem makroökonomischen Ziel zustimmen, das auf das Volkswohl so wenig Rücksicht nimmt?

Abgesehen von seiner Vernarrtheit in die Verringerung von Zahlungsbilanzdefiziten bestätigt der Ende Juli 2013 veröffentlichte Bericht des IWF zu Griechenland, dass sich die griechische Bevölkerung nach wie vor im Würgegriff einer steigenden Staatsverschuldung befindet. Die Verringerung aus dem Jahr 2012 auf „nur“ 156,9% des BIP von 170,3% im vorangegangenen Jahr wurde von einem Anstieg auf nahezu 176% im Jahr 2013 wieder vollständig zunichte gemacht. |1|

Die in Washington ansässige Einrichtung erkennt ihre überwältigende Niederlage in Griechenland stillschweigend an und behauptet, eine neue Lösung parat zu haben. Diese basiere auf den Wachstumsprognosen, die immer wieder nach unten angepasst werden. Dieses „optimistische“ Szenario fußt auf dem angenommenen Zuwachs bei Exporten, Investitionen und Konsum. Diese würden im Fall ihres Eintretens ermöglichen, dass das obsessiv verfolgte Ziel des IWF erreicht wird, die Staatsschulden auf 124% im Jahr 2020 und weiter auf 110% im Jahr 2022 zu senken. Doch dieses Niveau der Staatsverschuldung liegt nur leicht unter den 129,7% des BIP aus dem Jahr 2009: eine vergleichsweise geringe Verbesserung angesichts eines Zeitraums von mehr als elf Jahren.

Ein jeder weiß, dass die ökonomischen Maßnahmen, die die Troika in den vergangenen drei Jahren ergriffen hat, zu extremen wirtschaftlichen Ausfällen und einer verstärkten Einengung der Bevölkerung geführt haben. Der IWF sucht nach neuen finanziellen Spielräumen (Privatisierungserlösen, Kostensenkungen durch Streichen von Sozialleistungen usw.) für das Land. Das Ziel lautet hierbei, dass Griechenland auch in Zukunft Zahlungen an seine Gläubiger leisten kann. Der IWF schätzt den Bedarf der Staatsfinanzen Griechenlands für den Zeitraum 2014/2015 auf ca. 11 Mrd. €. Präziser ausgedrückt: 4,4 Mrd. € am Ende des Jahres 2014 und 6,5 Mrd. € für das gesamte Jahr 2015. Die Gläubiger bestehen darauf, dass ihnen der Staat sagenhafte Summen zurückzahlt – was auch immer die Konsequenzen für ihn sein mögen.

Darüber hinaus sagt der IWF, eine erneute Abschreibung der Staatsschulden Griechenlands sei innerhalb der nächsten zwei Jahre erforderlich, um eine Harmonisierung mit der prognostizierten Senkung auf 124% des BIP im Jahr 2020 zu erreichen. Die entsprechende finanzielle Erleichterung liegt bei ca. 4% des BIP (etwa 7 Mrd. €) der Kosten seiner europäischen Partner – ohne irgendeine Form von Erfolgsgarantie für die Rettungsmaßnahmen. Wer außer der Troika und der griechischen Regierung hat nach wie vor Vertrauen in den IWF?

Überraschende Wendung und Abmahnung

Am 29. Juli 2013 gab das Exekutivdirektorium des IWF eine neue Hilfe in Höhe von 1,72 Mrd.für Griechenland frei. Eine der Bedingungen, an welche die Kredite geknüpft sind, ist ein Plan, 4.200 Angestellte des öffentlichen Dienstes zu entlassen |2|. Der Delegierte Brasiliens im IWF, der auch elf weitere süd- und mittelamerikanische Länder repräsentiert, enthielt sich. „Angesichts der negativen Auswirkungen der für Griechenland und seine Bevölkerung geltenden Richtlinien birgt das Programm am Ende Risiken für die Integrität des IWF“, sagte dieser. „Wichtig ist, dass der Fonds ein neues Programm für Griechenland mit verbesserten Bedingungen auflegt, damit das Land aus der Krise herauskommt“, so sein Wortlaut |3|.

Obgleich die elf süd- und mittelamerikanischen Länder innerhalb des IWF kein großes Gewicht haben – zusammengenommen nur 2,61% aller Stimmen (zum Vergleich: Die USA alleine haben einen vetofähigen Stimmenanteil von 16,75%) – so bleiben doch ein paar Kratzer zurück. Der brasilianische Finanzminister Guido Mantega versicherte der IWF-Direktorin Christine Lagarde, dies würde nicht noch einmal passieren. Brasilien unterstütze die Vorgehensweise des
IWF, und der brasilianische Delegierte habe nicht die Befugnis zur Enthaltung |4| gehabt. Der Minister berief seinen Respräsentanten „unverzüglich“ ein, um eine Erklärung zu erhalten. Statt unterwürfig aufzutreten und dieses diplomatische Ereignis als Aussetzer einzustufen, könnte Brasilien – vorausgesetzt, das Land hat den politischen Willen dazu – auch und gerade deshalb, weil es keine laufenden Schulden beim IWF hat, die Sparmaßnahmen des IWF infrage stellen. Die Stimmenthaltung des brasilianischen Delegierten beruhte jedoch eher auf mangelndem Vertrauen in die Fähigkeit Griechenlands zur Schuldenrückzahlung als auf einer Geste zur Verteidigung des Ideals sozialer Gerechtigkeit.

Zwingen die Rettungsmaßnahmen Griechenland unter das Joch?

Es muss jedem klar sein, dass es das Ziel der Maßnahmen der Troika zur Rettung Griechenlands ist, ein radikales neoliberales Programm aufzustellen und gleichzeitig den Staat in die Verschuldung zu treiben, so als wollte man definitiv jegliche Reaktion der Regierung im Keim ersticken.

Diese neue Zuteilung des IWF beinhaltet also ein umfassendes Programm, das die Schulden Griechenlands bei der Troika noch erhöhen wird. Vor Kurzem (am 31.07.2013) hat Griechenland eine Zahlung in Höhe von 4 Mrd. € von der Europäischen Union erhalten: 2,5 Mrd. € flossen aus der Eurozone über die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (European Financial Stability Facility, EFSF). Auch ein Darlehen in Höhe von 1,5 Mrd. €, das bis zum Jahr 2048 zurückzuzahlen ist, wurde durch den Euro-Rettungsschirm (European Stability Mechanism, ESM) garantiert. Dieser ist als Nachfolger der EFSF vorgesehen. Dieses Darlehen wird von den Zentralbanken der europäischen Länder bereitgestellt. Diese zahlen an Griechenland den Zins zurück, den das Land auf seine bereits bestehende Schuld im Rahmen des Memorandums 2010 gezahlt hat. Treibt der europäische Liberalismus seinen Zynismus so weit, dass Zinsen auf die von Griechenland bezahlten Zinsen eingefordert werden? Hierbei handelt es sich um unmoralische Schulden, da sie nicht nur mit der Verletzung von Menschenrechten in Verbindung stehen, sondern auch sehr hohe Zinssätze (ca. 5%) aufweisen. Frankreich und Deutschland finden Geldgeber, die mit einem Zinssatz von 2% einverstanden sind, und bereichern sich auf dem Rücken der Griechen, denen sie Geld zu einem Zinssatz von 5% leihen.

Angesichts der drohenden Schließung des griechischen Staatsfernsehens |5| finden wir im Bedingungsgeflecht für die Darlehen ein neues Gesetz vor, das die Angestellten im öffentlichen Dienst betrifft. Dieses Gesetz wurde am 18. Juli 2013 angenommen – nur wenige Stunden, bevor der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble nach Athen kam. Während Schäubles Besuch verwandelte sich Athen in eine von der Polizei strikt kontrollierte Geisterstadt. Besagtes Gesetz schafft hohe Personalredundanzen bei den Staatsbediensteten – ein kompletter Widerspruch zur griechischen Verfassung. Eine weitere Folge ist, dass tausende Angestellte das Opfer erbringen müssen, acht Monate lang zu verringerten Bezügen zu arbeiten, bevor ihnen nach dem Prinzip „Friss oder stirb“ neue Arbeitsverträge angeboten werden. Insgesamt sind 4.200 Personen betroffen: Streifenpolizisten, Lehrer, Schuldirektoren und viele andere. Ein Gesetz zur Steuerreform, für das am 25. Juli 2013 gestimmt wurde, ergänzt das Gesetz vom 18. Juli 2013. Die Tatsache, dass die Regierung von der Troika eine Senkung der Mehrwertsteuer in Restaurants, die zuvor mehr als ein Jahr lang 23% betragen hatte, auf 13% zugebilligt bekam, ist keine zufriedenstellende Kompensierung.

Die Troika beabsichtigt als Maßnahmen die Privatisierung von Fernbusverbindungen, der Wasserversorgung in Athen und Thessaloniki, des Gaslieferanten DEPA, der größten Ölraffinerie und gleichzeitig größten Öllieferanten (ELPE, Hellenic Petroleum S.A.), der nationalen Lotterie, der Organisation für Fußballtippspiele (OPAP) u. v. m.

Nach dem wiederholten Scheitern im Abwenden von Krisen, u. a. in Asien 1997 (Thailand, Indonesien und Südkorea) setzt der IWF seinen Kreuzzug gegen die Souveränität der Völker Europas fort. Hierbei hat Griechenland die Rolle des Versuchskaninchens inne. Aktuelle Erklärungen des IWF, in denen die Absicht anklingt, die Strenge der Sparkurse korrigieren zu wollen, sind nutzlos, wenn der IWF gleichzeitig in der Schuldentilgung nicht vorankommt. Das kann der griechischen Neonazi-Partei nur recht sein. Damit unterm Strich Verbesserungen für das griechische Volk eintreten, müssen die Schulden bei der Troika aus der Welt geschafft werden, da sie unmoralisch sind |6|. Weitere nicht rechtmäßige Schulden müssen ebenfalls abgeschafft werden. Die sozialschädlichen Maßnahmen, die seit 2010 durchgeführt werden, müssen aufgehoben werden. Die Troika, die Griechenland in eine tödliche humanitäre Krise treibt, muss einen „Schnitt“ wagen, und das möglichst schnell.

Danke für die Übersetzung an die Rosetta Stiftung

Fußnoten

|1| Bericht des IWF, Juli 2013: http://www.imf.org/external/pubs/ft…

|2| Brazil Summons IMF Rep Home After Abstention on Greece Debt Vote. David Biller, Sandrine Rastello, Bloomberg, 1 August 2013. http://www.bloomberg.com/news/2013-…

|3| Diese Gruppe, bei der Brasilien den Vorsitz innehat, umfasst die Kapverdischen Inseln, die Dominikanische Republik, Ecuador, Guyana, Haiti, Nicaragua, Panama, Surinam, Osttimor sowie Trinidad & Tobago.

|4| “[Nogueira Batista] hielt keine Rücksprache mit der Regierung und war von unserer Seite aus nicht dazu berechtigt, in dieser Weise abzustimmen. Der Finanzminister hat ihn daraufhin unverzüglich nach Brasilien zurückbeordert, damit er eine Erklärung abgibt“, verlautete es aus dem brasilianischen Finanzministerium.”

|5| Presseerklärung von CADTM, 14. Juni 2013, Greece, brutal takeover by the government and the Troika („Brutale Übernahme durch Regierung und Troika in Griechenland“ http://cadtm.org/Greece-brutal-take…

|6| Renaud Vivien, Éric Toussaint, Greece, Ireland and Portugal: why agreements with the Troika are odious. („Griechenland, Irland und Portugal: Darum sind Vereinbarungen mit der Troika unmoralisch.“) http://cadtm.org/Greece-Ireland-and…

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Ein Gedanke zu “Griechenland: Depression oder Rezession? Was bringt die Troika – Rettung oder Knechtung?

  1. Letzendlich kann die EU in dieser Zeit zeigen, wie sehr sie tatschlich zusammen halten und was für Vorkerhrungen getroffen werden, damit kein anderes Land in Zukunft in eine solche Situation gerät, denn irgend wann sind die finanziellen Reserven aufgebraucht.

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